Rekonstruktion des napoleonischen Wasser-Kreuzungsbauwerkes
Am Anfang stand ein Befehl. 1804 ordnete Napoleon Bonaparte, Kaiser der Franzosen, den Bau einer künstlichen Wasserstraße zwischen dem Rhein beim damals französischen Neuss über die Maas bis zum damals französischen Hafen an der Schelde bei Antwerpen an. Der 160 Kilometer lange „Grand Canal du Nord“ sollte Holland mit seinen Zöllen und Steuern umgehen, das Land vom Rheinhandel abschneiden und somit die Kontinentalsperre zur Isolierung Englands festigen.
Das in den Jahren 1808 bis 1810 verfolgte Projekt war eine gewaltige Ingenieur- und Vermessungsleistung. Die Planung des Nordkanals sah eine Breite von 22 Metern, eine Wassertiefe von 2,40 Meter und beidseitige sechs Meter breite bzw. 1,40 Meter hohe Dämme mit begehbaren Treidelpfaden vor. Der Kanal war ausreichend bemessen für 35 Meter lange Schiffe mit 200 Tonnen Ladegewicht.
Der Höhenunterschied zwischen dem Rhein und der Maas sollte durch mehrere Schleusen überwunden werden. Durch die Schleusen sowie durch Versickerung und Verdunstung hätte die künstliche Wasserstraße ständig Wasser verloren. Deshalb musste dem Kanal gleichmäßig Wasser zugeführt werden, was durch die Kreuzung mit natürlichen Flussläufen sichergestellt wurde. Ein solches Kreuzungsbauwerk ist das Neusser „Epanchoir“. Hier kreuzte der Nordkanal die Obererft. Die Aufgabe des Bauwerkes war es, das Wasser der Obererft das ganze Jahr über gleichmäßig, höhengleich und ohne Beeinträchtigung der Kanal-Schifffahrt in den Kanal einzuspeisen. Darüber hinaus musste sichergestellt werden, dass die Neusser Mühlen am Obertor noch mit genug Wasser versorgt blieben.
1810 fiel das Königreich Holland an Frankreich und der Nordkanal verlor seine politische Bedeutung. Der Bau wurde am 1. Januar 1811 vollständig eingestellt. Nach dem Abzug der napoleonischen Truppen aus dem Rheinland erfüllte der in Neuss weitestgehend fertiggestellte Nordkanal erst ab 1823 seine Wasserstraßenfunktion, allerdings dann mit einem deutlich verkleinerten Querschnitt für kleinere Schiffe hauptsächlich zum Kohletransport. Als der Gütertransport per Eisenbahn ab ca. 1850 immer mehr an Bedeutung gewann, wurde der Schiffsverkehr auf dem Kanal ganz eingestellt.
Anstelle des Treidelpfads entstand Anfang des 20. Jahrhunderts parallel zum Kanal auf der südlichen Seite die „Nordkanalallee“. Parallel zum Nordkanal verläuft seit 2002 vom Sporthafen Grimlinghausen nach Holland auch ein rund 100 Kilometer langer Radweg, die „Fietsallee“. Dieses im Rahmen der EUROGA2002+ entstandene Projekt sollte Napoleons eher politische Intention neu interpretieren in ein friedliches, länderverbindendes „Landschaftsereignis“.
Anlässlich des 200jährigen Jubiläums der Einweihung des Epanchoirs im Jahr 2009 regte die „Vereinigung der Heimatfreunde Neuss“ die Wiederherstellung und Sichtbarmachung des Wasserkreuzungsbauwerks an. Möglich gemacht wurde diese Überlegung durch die umfangreiche Umplanung der benachbarten Augustinus-Kliniken (2009 – 2012) und dem damit verbundenen Abriss eines unmittelbar an das Epanchoir angrenzenden Gebäudes auf der ehemaligen Nordkanal-Trasse.
In Abstimmung mit dem Rheinischen Amt für Bodendenkmalpflege in Bonn sowie betroffenen Versorgungsträgern entwickelte die Stadt Neuss eine Planung, die eine Wiederherstellung und Restaurierung des Wasserkreuzes inkl. Teilstück des Nordkanals auf rund 45 Metern Länge in voller historischer Breite vorsieht. Dies ist im gesamten Verlauf des heutigen, noch vorhandenen Nordkanals in Deutschland und den Niederlanden einmalig.